Raphaela Elira Kaiser: Paradiesgeschichten am Ende der Nacht
Die Schulmedizin steckt noch in den Kinderschuhen. Ein Satz, der im
Laufe der Jahrhunderte häufiger gebraucht wurde und gebraucht werden
musste. Einen Grund dafür zeichnet Frau Kaiser in ihrem ersten Roman
auf: Der Mensch hat als sich als Ganzes beschnitten, hat sich in
gesellschaftlichen, kulturellen und spirituellen Aspekten vom Yin
gelöst. Die “Paradiesgeschichten am Ende der Nacht” geben dem Leser
Einblicke in ein alternatives Leben, eine Rückkehr zu den Wurzeln. Dabei
werden Motive aus dem östlichen Religionen und Philosophien vorgestellt
und Eindrücke aus dem esoterischen Bereich vermittelt.
Haupthandlungsort der Geschichten ist das norddeutsche Dorf Malwig. Der
Leser erlebt die Schicksale ausgewählter Dorfbewohner zwischen 1986 und
2067. Für die Malwiger sind diese Jahrzehnte mit Unruhe und Hoffnung
erfüllt. Sie trotzen der Außenwelt, von der sie sich abgekapselt haben
und lernen, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Das Szenario der
politischen und gesellschaftlichen Bühne, für das ihr Lebensstück
geschrieben wurde, wird außerhalb des Dorfes von Angst und Gewalt
dominiert und jeder Morgen bringt neue Herausforderungen.
Das autarke Malwig ist eine Skizze Frau Kaisers, eine gesellschaftliche
Zukunft der Menschen vorzustellen, in der ihr Einklang mit ihrer Umwelt
und sich selbst beleuchtet wird. Der Roman ist unterhaltend und
lehrreich zugleich, da viel Faktenwissen über alternative Heilmethoden
sowie über Pferde und Pferdezucht eingearbeitet wurde. Zwar begegnet der
Leser im Laufe seiner Reise auch einigen Phantastik-Elementen, doch
bleibt die Vision der Lebensgemeinschaft Malwig in ihren Grundpfeilern
realisierbar.
Die Erzählperspektive des Romans ist komplex, da die Malwiger das
Phänomen kennen, was in unseren Sprachgebrauch als “Seelenwanderung”
bekannt ist. Durch das Zurückerinnern an vergangene Leben und der
Möglichkeit des Vergebens und Verzeihens entsteht ein Grundkanon aus
Verständnis und Gutmütigkeit, der allen Bewohnern eigen ist. Die
Lebensweise im Dorf mag dies notwendig machen, doch literarisch fertigt
dies gewissermaßen Stereotypen vor. Auch die meisten Antagonisten, die
sich der Gemeinschaft entgegenstellen, werden erst nach ihrer Aufnahme
ins Dorf tiefer gehend beleuchtet. Stilistisch nutzt Frau Kaiser z.T.
lange, verwinkelte Sätze, die zwar zur Alltagssprache der Dorfbewohner
passen, den Lesefluss aber hemmen.
Am Ende des Buches weiß sich der Leser dennoch reich belohnt. Er hat
eine philosophisch-spirituell durchwachsene Reise durchlebt und
Ausblicke auf Dinge erhascht, die möglicherweise zu einer Erkundung
locken. Die “Paradiesgeschichten am Ende der Nacht” mögen nicht
paradiesisch sein, wie ein Charakter gegen Ende des Buches argumentiert
– doch sind sie zweifellos interessant und bewegend. Gibt der Leser der
Geschichte Zeit sich zu entwickeln, wird deutlich, dass im vorliegenden
Roman der Inhalt, gewissermaßen die Nachricht, an erster Stelle steht.
Kommentar schreiben