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Nausikaa Lenz: Baro

Nausikaa Lenz: Baro

"Wir waren so herrlich unproduktiv" lautet einer der Schlagsätze, mit denen der Ver Verlag Nausikaa Lenz' Debütroman "Baro" bewirbt. Ein Satz, der den Charme des heutzutage verbotenen Müßigganges erweckt und welcher in seiner Hörerschaft die Sehnsucht nach einer anderen Zeit weckt – es sei denn, die Zeit selbst wäre im Übermaß vorhanden.

 

Dies gilt für eine Personengruppe im Roman, welche sich die "Unsterblichen" nennen. Die Autorin lässt uns dem Protagonisten Baro über die Schultern schauen, der die Aufgabe bekommt, die neu aufgetretene Todesgefahr der Unsterblichen zu untersuchen und zu bannen. Zur Seite stehen ihm die drei unsterblichen Freunde Robert, Dorian und Belle sowie die unabsichtlich in die Sache gezogene und zum Sterben verdammte Christa.

 

Baro beginnt mit einer Autofahrt in den Außenbezirken Berlins; verspätet, in aller Enge, ungewiss, am Nervenkostüm zerrend. Die Stimmung der Insassen spiegelt auch das Bild wieder, welches die Leser eingehend präsentiert bekommen: Seitenlange Streitgespräche zwischen den Beteiligten; krude Andeutungen über Sinnhaftigkeit und Ziel der Fahrt; das Gefühl, nur durch den schmalen Korridor der Erzählstimme in die Geschichte eintauchen zu können.

 

Tatsächlich ist der Anfang des Roman vergleichbar mit der Unsterblichkeit: Beides zieht sich. Allein die Tatsache, dass Frau Lenz uns mit den Nimmersatt Dorian, Baro "dem Dämon" und Robert, welcher die Rolle des Strategen und Vernünftigen im Dreibund einnehmen wird, erfrischend asymmetrische Figuren geschaffen hat, hält die Leser bei der Stange. Sei es ihre Natur der Unsterblichkeit, ihre Sicht auf die Welt oder einfach ihr Humor; "Baro" steht und fällt mit der Konzeption dieser drei Figuren. Unglücklicherweise erfährt man am Anfang nichts über die große Aufgabe, die auf Baros Schultern lastet und allein Zwist und Streit untereinander führen diese Figuren ein.

 

Nach über 20 Seiten erschöpft sich allmählich auch die Sympathie bzw. Neugier der Leser. Ein hart geschnittener Ort- und Zeitwechsel im nächsten Kapitel trägt auch nicht zur Integrität eines zielgerichteten Spannungsaufbaus ein. Erst mit dem Auftreten Christas etabliert sich ein konzeptionelles Handlungsmuster und eine stilistische Geradlinigkeit. Die zeitweise Inaktivierung ihres Protagonisten ist der Kunstgriff, welcher Frau Lenz die Möglichkeit gibt, die oben angesprochenen Punkte anzugehen: Eine humorvolle Charakterisierung der Figuren ohne Zwistigkeiten und verstreute Einblicke in die Hintergrundgeschichte stimmen Leser, welche diesen Punkt erreicht haben, versöhnlich.

 

Auch wenn sich der Hintergrund der einzelnen Handlungen ab Kapitel 9 allmählich offenbart und mystische Elemente die Spannung steigern, kämpfen Roman und Frau Lenz mit Kinderkrankheiten. Diese führt der Rezensent allerdings auf Unerfahrenheit der Autorin zurück: Es ist dieser Geschichte nicht dienlich, Konfliktpotential mangels eines im verborgenen und oft nur inhaltlich gestreiften Antagonisten primär innerhalb der Heldengruppe zu schüren, auch wenn dabei Beschreibungen wie "Ein Haar ist reißfester als Dorians Nerven" entstehen. Allein im 16. Kapitel ist der übermäßige Streit unterhaltsam, da humorvoll in Szene gesetzt – ansonsten hätte mehr Harmonie, besonders am Anfang der Geschichte, längere Passagen redundant gemacht.

 

Stilistisch stellt der Roman ein anachronistisches Potpourri dar; nutzen die Unsterblichen doch aufgrund ihrer Lebenserfahrung Wörter der Neuzeit ebenso häufig wie Floskeln aus dem Mittelalter. Das ist akzeptabel; die Erzählstimme selbst entpuppt sich aber durchweg jung, was bei Rückblicken in die Zeit, bevor die eigentliche Menschheit existiert haben soll, manchmal leicht irritiert. Sprachlich gesehen gibt es durchaus Metaphern und Beschreibungen, die ihre Wirkung nicht verfehlen (z.B. die Weingläser mit unsichtbaren Löchern), jedoch sind manche frühen Charakterisierungen überfrachtet: "Dieser starrte sie absolut nichtssagend mit seinen treuen Hundeaugen an, kaute wie ein müdes Kamel und zog allmählich sanfte Falten der Irritation auf der makellosen Stirn, ..."

 

Viele der eingehend angesprochenen negativen Kritikpunkte relativieren sich mit dem Fortschreiten der Geschichte. Obwohl am Ende von "Baro" für die Leser das Gefühl bleibt, von der Zeit selbst betrogen worden zu sein, schließt die Autorin den Roman mit einem soliden Cliffhanger ab. Der zweite Teil dieser Fantasy-Geschichte ist derzeit noch in Arbeit und der Rezensent glaubt, dass Frau Lenz das Potential ihrer Geschichte und ihrer Figuren dort weiter vergrößern und aus den Schwachstellen in "Baro" Lehren ziehen wird. Da die Autorin wohl nicht über Unsterblichkeit verfügt, wird sie sich – im Gegensatz zu ihren Figuren – auch nicht den Luxus gönnen, unproduktiv zu sein.

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Kommentare: 2
  • #1

    Stefan Gerbert (Donnerstag, 27 Januar 2022 22:41)

    Ich habe heute ihre Rezension hier gelesen und finde sie ehrlich gesagt nicht fair. Es ist das erste Werk der Autorin und Frau Lenz hat dafür ein sehr gutes Werk abgeliefert. Da können sich viele mal eine Scheibe dran abschneiden.
    Es ist aus meiner Sicht auch nicht besonders nett, dass Sie hier einmalig ein Debüt-Werk einer Autorin kritisieren. Ansonsten schreiben Sie immer über die Werke erfolgreicherer Autoren. Sie sollten wirklich mal überlegen, die Seite hier wieder zu löschen. Das ist vermutlich für eine junge Autorin sehr demotivierend und für ihre Karriere nicht gut, dass Sie mit dieser Rezension auf Seite 1 bei Google bei ihrem Buch auftauchen.
    LG
    S. Gerbert

  • #2

    Oliver Guntner (Sonntag, 06 Februar 2022 09:34)

    @#1

    Sehr geehrter Herr Gerbert,
    vielen Dank für Ihr Kommentar. Ich habe Frau Lenz auf der Buch Berlin kennengelernt und sie gefragt, ob ich eine Rezension schreiben darf, habe sie aber auch gewarnt, dass ich ein strenger Kritiker bin. Vor meiner Veröffentlichung der Kritik habe ich versucht, Kontakt zu Frau Lenz bzw. zum Verlag herzustellen - ich bekam nie eine Antwort.
    Mag sein, dass ich harsch analysiere, doch meiner Meinung gebe ich klar an, dass Frau Lenz' Debütroman typische Anfängerfehler aufweist. Das ist an sich auch nicht schlimm - alle beginnen auf dem Niveau und steigern sich. Potential war vorhanden - und natürlich stimme ich Ihnen zu, das Frau Lenz, im Gegensatz zu unzählig anderen es geschafft hat, eine Geschichte zu veröffentlichen. Wie viele Entwürfe bleiben in den Schubladen oder Köpfen. Daher eine Leistung, auf die sie gewiss stolz sein kann.
    Auf Ihren Vorschlag, diese Kritik zu löschen gehe ich nicht ein - meine Worte sind für mich trotz Ihrer Ausführungen nicht weniger wahr. Aber durch meine Antwort hier bin ich sicher, dass sich Interessierte eine differenziertere Meinung bilden können. Das sollte alle Parteien ein wenig glücklicher machen.
    Mfg
    O. Guntner